Johannes Itten: Kunst als Leben Bauhausutopien und Dokumente der Wirklichkeit
Im Bauhaus-Jubiläumsjahr 2019 widmet das Kunstmuseum Bern dem bedeutenden Schweizer Künstler und Bauhaus-Meister Johannes Itten eine Ausstellung, die zum ersten Mal das utopische Projekt Ittens, Leben und Kunst auf ganzheitliche Weise zu verschmelzen, ins Auge fasst.
Schon bei der Gründung des Bauhauses hat sich Johannes Itten als Künstler mit dem Konzept, in allen Kunstformen eine «höchst mögliche Entmaterialisierung der Einzeldinge» zu erreichen, radikal positioniert und diese Gedanken programmatisch im berühmten Bauhaus-Almanach «Utopia. Dokumente der Wirklichkeit» formuliert.
Zentrale Ausstellungsstücke bilden die neu erforschten und bislang nicht in diesem Umfang ausgestellten Tage- bzw. Skizzenbücher Ittens, die ab 1913 seine künstlerische Praxis begleiten. Darin sind nicht nur Ittens kunsttheoretische Überlegungen zu seiner Farbenlehre nachzuvollziehen, sondern auch seine Gedanken zu einer Elementarlehre der Kunst, seine in diesem Ausmass unbekannten Studien zu Alten Meistern, aber auch Lektürespuren zu esoterischen und naturwissenschaftlichen Ideen seiner Zeit. Daneben schlagen sich die Auseinandersetzung mit Vorstellungen von vegetarischer Ernährung, Atemlehre, rhythmischer Gymnastik und anderen lebensreformatorischen Elementen, die auch in der heutigen Zeit wieder zunehmend an Aktualität gewinnen, in den Tagebucheinträgen nieder.
Untrennbar mit seinem Kunstverständnis verbunden sind jedoch auch kulturhistorische Entwicklungsvorstellungen, die besonders in seinen Vorträgen deutlich rassistische Züge tragen – davon zeugen ebenfalls ausgestellte Vortragsmanuskripte der 1920er-Jahre. In für uns heute befremdlichen Formulierungen von der «Weissen Rasse, die Gott in sich erkannte» geben sie Einblick in elitistische Denkstrukturen, die in Kreisen der europäischen Avantgarde weit verbreitet waren. Itten zeigt sich hier u. a. geprägt von theosophischen Weltentwürfen und Entwicklungsvorstellungen der Mazdaznanlehre, die gerade durch den intensivierten Kontakt mit anderen Weltkulturen in der Epoche des Kolonialismus anfangs des 20. Jahrhunderts Hochkonjunktur hatten.
Die zahlreichen Skizzen zeigen zugleich eine faszinierende Bandbreite bildkünstlerischer Darstellungsformen zwischen Abstraktion, diagrammatischer Reduktion, Collage und figürlicher Darstellung, die den üblichen Narrativen von einer Entwicklung der Avantgardekunst widerspricht. Die Ausstellung spürt Ittens Entfaltung von den Anfängen in der Schweiz über seine Lebensstationen in Stuttgart, Wien, Weimar und Herrliberg nach und umfasst auch seine bisher wenig beleuchteten Engagements in Berlin, Krefeld und Amsterdam. Im Zusammenspiel von Schlüsselwerken seines malerischen Werks gelingt dieser umfangreichen Präsentation ein neuer Blick auf Ittens bislang verborgene Form der Welterschliessung und auf seine hiervon ausgehenden künstlerischen Werkprozesse.
Kuratoren: Nina Zimmer und Christoph Wagner
Eine Ausstellung des Kunstmuseum Bern. Sie wird im Anschluss (8.3.-28.6.2020) im Kunstforum Hermann Stenner in Bielefeld gezeigt.
Besuchen Sie im Zentrum Paul Klee die andere grosse Jubiläumsausstellung bauhaus imaginista (20.09.19 -12.01.20). Erstmals wird die Rezeptionsgeschichte des Bauhauses ausserhalb Europas untersucht und eine neue Sicht auf das Bauhaus vermittelt.