Paul Senn Fotoreporter
Senns Werk in neuem Licht
Seit Anfang 2004 wurde Paul Senns umfangreicher Nachlass am Kunstmuseum Bern aufgearbeitet. Eine sensationelle Entdeckung stellen Senns Farbfotografien dar, die mit einer geradezu modernen Ästhetik verblüffen. Zudem wurde Paul Senn bisher vor allem als Fotograf schweizerischer Zustände wahrgenommen. Diesen Eindruck wird die Ausstellung im Kunstmuseum Bern revidieren und aufzeigen, dass Senn in ganz Europa und Amerika als sozial engagierter Fotoreporter unterwegs war.
Paul Senn wird zusammen mit Gotthard Schuh und Hans Staub zu den drei grossen der Schweizer Reporter-Generation zwischen 1930 und 1950 gezählt. In der Ära Kübler erreichte er bei der Zürcher Illustrierten und später beim Du nationale Bekanntheit. Er gilt als Vertreter einer neuen Bildsprache, die den Alltag der Menschen zum Thema machte. Insgesamt fotografierte er für über 40 schweizerische und ausländische Illustrierte.
Senn wird vor allem als Fotograf schweizerischer Zustände wahrgenommen. So sind seine Fotos von dörflichen Versammlungen, von arbeitendem und feierndem Landvolk, von demonstrierenden Arbeitern, von Benachteiligten und Randständigen als «Senn-Bilder» zur Legende geworden. Der unmittelbare Ausdruck und die schnörkellose Art der Komposition haben diese Fotografien zu Ikonen schweizerischen Lebens werden lassen.
Das Archiv von Paul Senn kam 1982 als Depositum der
Gottfried Keller-Stiftung an das Kunstmuseum Bern. Im Rahmen des Paul
Senn-Projekts hat das Kunstmuseum Bern seit Anfang 2004 den Nachlass des Reporters aufgearbeitet und erschlossen. Gleichzeitig ist als Novum in
der schweizerischen Fotogeschichte eine Bilddatenbank entstanden, die
auf der Homepage www.paulsenn.ch Zugang bietet zu Reportagen Senns aus zwölf Illustrierten.
Die Ergebnisse, die sich bei der Erschliessung des Senn-Archivs und der Durchsicht der über 1500 Reportagen ergeben haben, sind sowohl ästhetisch als auch inhaltlich überraschend.
So erschöpfen sich Senns Reportagen in der Schweiz nicht in der idyllischen Darstellung von Bauern und Arbeitern, sondern behandelten schon zu seiner Zeit Probleme, die gar erst heute Gegenstand der öffentlichen Auseinandersetzung werden. Unbekannte Aspekte sind etwa sein Engagement im Rahmen der Geistigen Landesverteidigung, sein Kampf für Anstalts- und Verdingkinder und Heimarbeiter oder die Offenlegung von Kindsmissbrauch. Diese Missstände prangerte Senn in seinen Sozialreportagen kämpferisch an. Während und nach dem 2. Weltkrieg brachte Senn auch erschütterndes und aufwühlendes Bildmaterial aus dem benachbarten Ausland nach Hause.
Eine andere sensationelle Entdeckung im Werk Senns stellen seine Farbfotografien dar. Nach dem Zweiten Weltkrieg begann Senn, getrieben von einer unbändigen Neugier, nicht nur wieder zu reisen, er fertigte auch vermehrt Farbdiapositive an. In Italien, Nordamerika oder auch Kanada sind farbige Fotos entstanden, die mit einer geradezu modernen Ästhetik und dynamischen Bildsprache verblüffen. Einige dieser Bilder muten dagegen wie Standbilder aus Schlüsselszenen von Hitchcocks Filmen an. Besonders in Farbe bringt uns Senn mit seinen Wirklichkeitsausschnitten zum Staunen und eröffnet neue Perspektiven auf Alltägliches. Oft scheint Senn sich dabei in die Geschichte der porträtierten Personen zu stehlen ohne selbst bemerkt zu werden.
Die retrospektive Ausstellung im Kunstmuseum zeigt über 300 Vintage-Prints, Sekundärabzüge, Farbfotos nebst reichhaltigem dokumentarischem Material. Ergänzt wird die Präsentation der Fotografien mit Reportagen aus Illustrierten und Zeitschriften.