Zwei Welten: meisterhaft Bizarres und grotesk Surrealistisches
Chinafenster Ji Dachun, Liu Ye
Im Rahmen des „China-Festers“, d.h. unserer Präsentationen von wichtigen Aspekten der Sammlung Sigg im Anschluss an die sehr erfolgreiche Ausstellung Mahjong im Jahr 2005, werden diesmal parallel Einzelausstellungen von zwei wichtigen Malern der mittleren Generation gezeigt.
Liu Ye lebt in Peking, wo er 1964 geboren ist. Er gehört zu den wenigen Künstlern, die regelmässig zwischen Europa (Deutschland, Holland und England) und China hin und her gependelt sind, was ihm nach eigenen Worten erlaubt hat, „sich auf sich selbst zu konzentrieren“. Lius gesellschaftlich durch die Kulturrevolution (1966-76) und visuell durch kitschige Propagandakunst beeinflusste Jugend haben eine künstlerische Welt hervorgebracht, die vordergründig kindlich erscheint, sich aber keineswegs als naiv erweist. Sie ist durch Jugenderinnerungen, Märchen und kindliche Vorstellungen des Glücks geprägt. So stellt er den Katastrophen der Weltgeschichte die Figuren geflügelter Mädchen und Knaben gegenüber, einem im Bombenhagel untergehenden Schiff einen salutierenden Spielzeugmatrosen. Zuweilen driftet Liu Ye beim Hervorholen verdrängter Bilder in die Adoleszenz ab: Seine Lehrerin (My Teacher II , 2001) erscheint als ein sexy, halbentblösstes, enigmatisch lächelndes, mit einer Peitsche ausgestattetes Pin-up in Gelb.Im Porträt Ruan Ling Yu (2002), einer „Harmonie in Blau“, taucht das runde Gesicht einer jungen Frau mit melancholischem Blick wie ein Mond im nächtlichen Himmel auf: Hier sind wir nicht weit von sentimentalem Montmartre-Kitsch entfernt – wenn nicht die meisterhafte Malweise und raffinierte Komposition beweisen würde, dass ein bewusst arbeitender Künstler am Werk ist. Liu versucht, in seinen Arbeiten die Einbildungskraft und Sensibilität des Märchens mit dem strikten und rationellen Denken der Philosophie zu verbinden.
Der 1968 geborene Ji Dachun stammt aus Nantong (Privinz Jinagsu) und lebt und arbeitet in Peking. In seinen Gemälden und Zeichnungen mischt er die chinesische Tradition und den westlichen Modernismus zu einem ironischen, manchmal humorvollen Cocktail. Auf weiss grundierten Hintergrund setzt er schön zentriert ein Objekt oder eine figürliche Darstellung, manchmal auch zwei Gegenstände oder Personen im Dialog. Die weite leere Fläche ist immer ein wichtiges kompositorisches Element. Es gibt zweierlei „Stile“ bei Ji Dachun: einen zeichnerischen, der von der traditionellen Gelehrtenmalerei der „Literati“ abgeleitet ist und an die „Kritzeltechnik“ eines Twombly erinnert, und einen malerischeren, der Picasso und der amerikanischen Malerei eines Philip Guston etwa verpflichtet ist. Immer spielen aber surrealistische Momente mit: skurrile Bildfindungen, eigenartige Objekt- und Figurenkombinationen oder Körperfragmente, ungewohnte Perspektiven. Das vermeintlich Naive kann in Sarkasmus umschlagen, hinter dem vermeintlich Hölzernen der Figuren versteckt sich eine verwirrende geistige Mobilität. So malt Ji Dachun etwa eine männlichen Akt mit dem Kopf Adolf Hitlers; eine gehäutete Mickey Mouse; einen Teddybär, der mit einem Schwein kopuliert; eine traditionelle chinesische Landschaft, die von Blitzen durchzuckt ist; eine getrocknete Indigo-Wurzel oder einen Gelehrtenstein, die phallisch in die Bildfläche hineinragen. Hinter seiner Feinmalerei verbergen sich Fallen: Man muss sich vor ihr in Acht nehmen.