Zwischen Nicht-Hinsehen-Können und Trotzdem-Hinsehen-Wollen
Six Feet Under «Autopsie unseres Umgangs mit Toten»
Gewalt und Tod sind in den Medien allgegenwärtig. Doch der direkte Kontakt zu Toten wird in unserer Gesellschaft gemieden. Die Leiche ist definitiv aus unserem Blickfeld verdrängt und durch ein neues System von Ritualen und Symbolen zur Verarbeitung der Endlichkeit menschlicher Existenz ersetzt worden: So hat sich zum Beispiel der Totenkopf vom sub-kulturellen Emblem zum schicken Mainstream-Modeaccessoire entwickelt; die amerikanische TV-Produktion Six Feet Under mit der Familie Fisher, die ein Bestattungsinstitut in Pasadena betreibt, hat sich auch in Europa zu einer erstaunlich populären Kult-Serie entwickelt.
In anderen Ländern und Zivilisationen besteht oft ein direkterer Kontakt zu den Verstorbenen, der meistens durch ein höheres Mass an Ritualisierung kompensiert wird. Verdrängung, Katharsis, Entsymbolisierung, Metaphorisierung, Erfindung von Ersatzritualen, Neutralisierung, schwarzer Humor und ähnliche Instrumente wurden und werden immer noch in immer neuen Formen eingesetzt, um unserer natürlichen Unbeholfenheit bei der Begegnung mit der Idee des Todes und mit dem Körper des Toten abzuhelfen. Der Tod ist ein universelles Thema in der Kunst. Zwei Extreme zeichnen sich in der zeit-genössischen Kunst ab: Entweder wird das Ritual, das von der Religion an hochprofessionelle Dienstleistungserbringer oder an die Medien abgegeben wurde, von der Kunst zurückerobert und mit den Mitteln der Kunst neu inszeniert oder ausgebaut. Oder gewisse Künstlerinnen und Künstler bringen die unerwünschte Leiche („Trouble with Harry-Syndrom“) wieder in unser Blickfeld zurück und führen uns oft auf sehr direkte Art vor, dass (auch) die (physische) Existenz nach dem Tod weitergeht.
Six Feet Under vereint Werke aus der Sammlung des Kunstmuseums Bern aus verschiedenen Jahrhunderten, Leihgaben von anderen Institutionen und Künstler/innen sowie speziell für die Ausstellung geschaffene Arbeiten. Das Hauptgewicht liegt indes auf zeitgenössischer Kunst aus verschiedenen Kontinenten und Zivilisationen – Europa, Amerika, Mexiko, China, Japan, Indonesien, Ghana: So zeigen wir etwa aus Accra eine neue Serie motivischer Särge von Paa Joe. Wichtige Themenkreise in der Ausstellung betreffen Kinderbegräbnisse (von Albert Anker bis Teresa Margolles), Totenköpfe (von Stefan Balkenhol bis Com&Com), Kadaver (von Félix Vallotton bis Andres Serrano), der Tod des Künstlers (von Ferdinand von Rayski bis Gianni Motti), Särge (von Ferdinand Hodler bis Joe Scanlan), Todesrituale (von Max Buri bis Jean-Frédéric Schnyder), geliebte/verehrte Tote (von Cuno Amiet bis AA Bronson), Tod und Lifestyle (von Martin Kippenberger bis John Armleder), usw.