Von Malewitsch bis Judd, von Deineka bis Bartana
Die Revolution ist tot. Lang lebe die Revolution!
Grosse Schau in Bern: Zum 100. Jahrestag der russischen Oktober-Revolution widmen das Zentrum Paul Klee und das Kunstmuseum Bern diesem Ereignis ihre gemeinsame Ausstellung «Die Revolution ist tot. Lang lebe die Revolution! Von Malewitsch bis Judd, von Deineka bis Bartana». Die umfassende Ausstellung gibt einen einzigartigen Einblick in die Geschichte der revolutionären Kunst und fragt nach ihren Folgen und Auswirkungen bis in die Gegenwart. Die beiden Berner Museen folgen je zwei unterschiedlichen kunsthistorischen Traditionen, welche mit der russischen Revolution untrennbar verbunden und die Kunst des 20. Jahrhunderts auf radikale Weise prägten – die russische Avantgarde und der Sozialistische Realismus.
Die Revolution im Oktober 1917 erschütterte die russische Gesellschaft. Jahrhunderte zaristischer Herrschaft wurden mit den Ereignissen des Umsturzes beendet. Die Russische Revolution hat nicht nur zu einem Umbruch der Gesellschaft geführt, sondern in der Kunstgeschichte den Aufbruch zur radikal gegenstandslosen Kunst markiert. Sie ist der Beginn einer neuen künstlerischen Bildsprache, deren Einfluss noch immer nachhallt und bis nach Europa, die USA und Südamerika reicht.
Bekannte Künstler wie Wassily Kandinsky, Kasimir Malewitsch und Alexander Rodtschenko gehörten zu denen, die die schicksalhaften Ereignisse von 1917 miterlebten. Während die russische Gesellschaft in ihren Grundfesten erschüttert wurde, entstanden heftige Diskussionen über die soziale und politische Bedeutung der Künste im Geiste der Revolution. Die Kunst der russischen Avantgarde sollte das ganze Leben durchdringen und Malerei, Skulptur, Architektur sowie Design einschliessen. Dies fand jedoch mit der brutalen Unterdrückung durch Stalin ein Ende, der der Kunst die schöpferische Freiheit absprach und sie nun in den direkten Dienst des Staates und der Erziehung des Volkes setzte.
Die Ausstellung im Kunstmuseum Bern zeichnet die Spuren des sich nach Stalins Machtübernahme durchsetzenden Sozialistischen Realismus bis in die Gegenwartskunst nach. Die Ausstellung im Zentrum Paul Klee wendet den Blick auf die radikal gegenstandslose Kunst der russischen Avantgarde sowie auf die künstlerischen Bewegungen, die sich im 20. Jahrhundert aus diesem Geist entwickelt haben und bis heute nachwirken.
Zentrum Paul Klee «Von Malewitsch bis Judd»
Die revolutionären Werke der russischen Suprematisten um Kasimir Malewitsch und El Lissitzky sowie der Konstruktivisten um Wladimir Tatlin und Alexander Rodtschenko bilden den Ausgangspunkt der Ausstellung. Auf dem Gebiet der Kunst deutete sich die Revolution bereits Jahre zuvor an. Ein Wendepunkt hin zur radikal gegenstandslosen Kunst bildete die von Malewitsch organisierte letzte futuristische Ausstellung der Malerei 0,10, die 1915/16 in Sankt Petersburg stattfand. Mit dieser Ausstellung und der Präsentation seines Schwarzen Quadrates wollte Malewitsch die Bildende Kunst zu einem Nullpunkt führen und schuf eine Ikone der Malerei des 20. Jahrhunderts, die wiederum ein Ausgangspunkt für folgende Generationen bildete. Die Konstruktivisten hingegen forderten von Anfang an, dass ihre Kunst die Gesellschaft verändern soll. Sie stellten ihre gegenstandlose Bildsprache in den Dienst der Architektur und des Designs.
Mit ausgewählten Positionen werden die Folgen dieser russischen Kunstströmungen im Laufe des 20. Jahrhunderts nachgezeichnet. Ein unmittelbarer Einfluss der russischen Avantgarde auf die konstruktivistischen Bewegungen im Europa der 1920er- und 30er-Jahre lässt sich bei der holländischen Künstlergruppe De Stijl, beim Bauhaus in Deutschland sowie bei Abstraction-Création in Paris festmachen. Nach dem Zweiten Weltkrieg beschäftigen sich die Zürcher Konkreten sowie die künstlerische Avantgarde in Südamerika mit dem Erbe des Konstruktivismus. Parallel zu den gesellschaftlichen Umwälzungen im Laufe der 1960er-Jahre entwickeln Vertreter der Minimal Art in New York, die Gruppe BPMT in Paris sowie Schüler von Joseph Beuys in Düsseldorf eine radikal gegenstandslose Kunst. Mit minimalistischen Mitteln wie einer reduzierten Bildsprache und industriellen Materialien positionierten sie sich wie ihre russischen Vorgänger gegen einen traditionellen Kunstbegriff und hinterfragten damit die kulturellen und gesellschaftlichen Normen. Die monochrome Malerei von Rodtschenko, mit der er 1921 eigentlich das Ende der Malerei heraufbeschworen hatte, erfuhr durch Radical Painting im Laufe der 1970er- und 80er-Jahren eine Neu-Interpretation.
Die Ausstellung im Zentrum Paul Klee zeigt, dass die russische Avantgarde mit ihrer Tendenz zu einer radikal gegenstandlosen Bildsprache – oder mit Malewitschs Worten: mit der Tendenz gegen Null – nicht etwa das Ende der Kunst bedeutete, sondern ein interessanter Ausgangspunkt für künstlerische Untersuchungen des 20. Jahrhundert bildete.
Kunstmuseum Bern «Von Deineka bis Bartana»
Wie kam es, dass der revolutionäre gesellschaftliche und politische Aufbruch in Russland, dem mit dem radikal monochromen und gegenstandslosen Schwarzen Quadrat von Kasimir Malewitsch (1915) eine ästhetische Revolution vorausgegangen war, in eine Kunstrichtung wie den Sozialistischen Realismus münden konnte? Im Kunstmuseum Bern wird dieser Teil die Geschichte erzählt und dargelegt, wie die Formensprache des Sozialistischen Realismus bis in die Gegenwartskunst hinein zitiert, variiert, persifliert wird und sich damit dem propagandistischen Diktat immer wieder entzog.
Die Sowjetmacht verlangte vom Künstler, dass er treuer Helfer der Partei bei der kommunistischen Erziehung der Werktätigen zu sein habe. Kunst sollte allgemein verständlich sein und Begeisterung wecken, zumal ein grosser Teil der Bevölkerung aus Analphabeten bestand. Ziel der Kunst war es nun, die Wirklichkeit als «revolutionäre Entwicklung» darzustellen und die Menschen im Geiste des Kommunismus zu erziehen. Die erfolgreichsten Maler der 1930er-bis 1950er-Jahre wie Alexander Deineka und Alexander Gerassimow wurden für Werke bewundert, die in monumentalen Formaten sowjetische Errungenschaften und ihre Helden – Bauern, Arbeiter, Parteiführer – ins Bild setzten und Schwierigkeiten, wie die Kollektivierung der Landwirtschaft, die zu grossen Hungersnöten führte, beschönigten. Sie visualisierten die kommunistische Utopie.
Die ideologische und stilistische Weiterverarbeitung des Sozialistischen Realismus erfolgte in der Deutschen Demokratischen Republik in den 1960er- bis 1980er-Jahren. Doch auch in der BRD wurden Künstler wie Martin Kippenberger oder Jörg Immendorff davon beeinflusst. Nach dem Fall der Berliner Mauer 1989 und der Auflösung der Sowjetunion 1991 schliesslich rechnete eine jüngere Generation von Künstlern mit der ideologisch befrachteten sowjetischen Bildwelt ab. Dass der Sozialistische Realismus und seine Formen und Inhalte bis heute die Gegenwart prägen, zeigt das Kunstmuseum Bern beispielsweise mit der Arbeit der israelischen Multimediakünstlerin Yael Bartana, die in ihrem dreiteiligen Filmopus And Europe Will Be Stunned die sozialrealistische Filmsprache zitiert und damit die ideologische Besetzung von Kunst vor Augen führt.
Eröffnung: Mittwoch, 12.04.2017, 18h00
Beginn im Kunstmuseum Bern, danach mit Shuttle-Bus im Zentrum Paul Klee
Kuratoren: Kathleen Bühler, Kunstmuseum Bern, Michael Baumgartner und Fabienne Eggelhöfer, Zentrum Paul Klee
Kontakt: Maria-Teresa Cano Leiterin Kommunikation und Öffentlichkeitsarbeit Kunstmuseum Bern – Zentrum Paul Klee , T +41 31 359 01 89
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