Autopsie unseres Umgangs mit Toten
Zwischen Nicht-Hinsehen-Können und Trotzdem-Hinsehen-Wollen
Die Ausstellung Six Feet Under ist unserem Umgang mit Toten gewidmet. Gewalt und Tod sind in den Medien allgegenwärtig, doch der direkte Kontakt mit Toten wird in unserer Gesellschaft gemieden. Darstellungen von Toten können eine seltsame Faszination auf uns ausüben: Wir schwanken zwischen Nicht-Hinsehen-Können und Trotzdem-Hinsehen-Wollen. Six Feet Under veranschaulicht, dass der Tod in der Kunst ein universelles und uraltes Thema ist: gezeigt werden Werke aus der Sammlung des Kunstmuseums Bern aus verschiedenen Jahrhunderten, Leihgaben von anderen Institutionen und Künstlerinnen und Künstlern sowie speziell für die Ausstellung geschaffene Arbeiten. Das Hauptgewicht liegt indes auf zeitgenössicher Kunst aus verschiedenen Kontinenten und Zivilisationen – Europa, Amerika, Mexiko, China, Japan, Thailand, Indien und Ghana.
Six Feet Under ist eine Redewendung, die den Titel für die
inzwischen Kult gewordene gleichnamige US-amerikanische TV-Serie
lieferte und nun auch den Titel zu dieser Ausstellung beisteuert. Das neu erwachte Interesse von Kunst, Populärkultur und Forschung am Tod
ist ein Indiz dafür, dass dieses Thema nicht mehr verdrängt wird,
sondern sich eine «neue Sichtbarkeit des Todes» (Thomas Macho)
entwickelt hat, wozu auch die Ausstellung ihren Teil beitragen will. Es gibt keine Kultur, die den Tod nicht dargestellt hat, wie die
Kunstwerke aus verschiedenen Epochen und Kontinenten in der Ausstellung Six Feet Under belegen. Die Furcht vor dem Tod und die Lust am
Sehen-Erkennen gelten als die wichtigsten Triebfedern menschlichen
Handelns und Denkens, sie sind der Ursprung menschlicher Kultur. Beim
speziellen Betrachten (des Bildes) einer Leiche spitzt sich diese
perzeptive Widersprüchlichkeit zu: Wir schwanken zwischen
Nicht-Hinsehen-Können und Trotzdem-Hinsehen-Wollen. So üben
Darstellungen von Toten oftmals eine seltsame Faszination auf uns aus.
Ausstellung in sechs Kapiteln
Die Ausstellung ist in sechs thematische Kapitel unterteilt, was
spannende Gegenüberstellungen von Kunstwerken möglich macht. Das erste
Kapitel handelt von Leichen, Totenköpfen und Skeletten. Künstler wie Andres Serrano, Jean-Frédéric Schnyder, Ferdinand Hodler, Karl
Stauffer-Bern oder Stefan Balkenhol führen uns das vor Augen, was wir
nicht sehen mögen und nur darum schon eine besondere Faszination ausübt: den toten, verwesten bist zum Skelett zerfressenen menschlichen Körper – unseren Körper, wie wir ihn nie sehen werden. Im zweiten Kapitel Särge, Gräber und Tränen werden Kunstwerke gezeigt, die Bestattungs- und Trauerrituale thematisieren. So ist beispielsweise dem Kinderbegräbnis von Albert Anker, der den Tod nur in der Körpersprache der
Hinterbliebenen spiegelt, ein Werk der mexikanischen Künstlerin Teresa
Margolles gegenübergestellt: In einen kleinen flachen Zementblock ist
der Körper eines tot geborenen Kindes eingegossen, für dessen Begräbnis
der Mutter das Geld fehlte. Ebenfalls zu sehen sind Särge von
ghanaischen Künstlern, die speziell für die Ausstellung angefertigt
wurden. Alle im dritten Kapitel Hommagen – geliebte und verehrte Tote vorgestellten Werke zeigen Leichname von Personen, die den betreffenden Künstlern nahe standen. So ist Claude Monets Porträt seiner toten
Ehefrau ausgestellt, aber auch ein Werk von A A Bronson, das seinen an
AIDS verstorbenen Kollegen Felix Partz im Grossformat abbildet. Der Künstlertod thematisiert die Endgültigkeit und Radikalität des Suizids. Die
estnische Künstlerin Ene-Liis Semper reiht in ihrem Werk inszenierte
Selbstmorde aneinander. Der britische Künstler Keith Arnatt inszeniert
dagegen seine eigene Beerdigung in einer Fotoserie. Tod und Lifestyle spielt auf den New Romanticism der 1980er Jahre an. Den neoromantischen Geist und eine verklärte Sehnsucht nach dem Tod findend man u.a. in den Objekten und Installationen von David Altmjed. Die Auseinandersetzung
des japanischen Fotografen Izima Karou mit dem Tod basiert auf der
Tradition der schönen Toten in der japanischen Kunst und Literatur. Im
letzten Kapitel Nachleben geht es um Vorstellungen, was nach dem Tod sein wird. Der Berner Seelenaltar aus dem Jahre 1506 wird von Toten eine Messe gelesen, um Fürbitte zu
Gunsten der Lebenden einzulegen. Die Videoarbeiten der thailändischen
Künstlerin Araya Rasdjarmrearnsook basieren dagegen auf Performances,
die unter Ausschluss der Öffentlichkeit in Leichenschauhäusern
stattgefunden haben.
Die Ausstellung wird von einem vielfältigen Rahmenprogramm und einem Katalog in Deutsch und Englisch begleitet.
Die Ausstellung wird grosszügig von der Stiftung GegenwART unterstützt.