Indien im Spiegel seiner Kunst
«Horn Please» Erzählen in der zeitgenössischen indischen Kunst
In Indien zieht sich die narrative Tradition ununterbrochen von der über Persien eingeführten Miniaturmalerei, als deren Höhepunkt der sog. Mogulstil (16. - 18. Jh.) gilt, über das ganze 20. Jahrhundert bis in die aktuellste Kunstproduktion hindurch. Im Lande der zahlreichen Mythen und Legenden, Religionen und Göttergeschichten, der oralen literarischen Traditionen und der "Bollywood"-Unterhaltungsindustrie nimmt die Erzählung einen wichtigen Platz ein.
Zeitgenössische Künstler/innen nehmen es aber auch als ihre Aufgabe wahr, den sozial Benachteiligten oder den ethnischen/religiösen Minoritäten eine Stimme zu verleihen, ihre Geschichte zu erzählen. Dies tun sie nicht nur mit den Mitteln der Malerei, sondern nunmehr auch mit den direkteren, "modernen" Medien Fotografie, Video, Installation und Performance.
Horn Please im Kunstmuseum Bern vereint Kunstwerke von ca. 1980 bis heute. Der Grossteil davon ist allerdings um die Jahrtausendwende entstanden. Einige Arbeiten werden speziell für die Ausstellung produziert. Die beteiligten Künstler/innen zeichnen durch die Darstellung von Szenen des Alltagslebens und Fiktionen, von Mythologie und Satire, von Autobiografischem, Gesellschaftlichem und Geschichtlichem ein lebendiges Bild vom heutigen und gestrigen Indien und reflektieren die gewaltigen wirtschaftlichen, politischen und gesellschaftlichen Veränderungen in diesem Land über die letzten drei Jahrzehnte.
Horn Please versteht sich nicht als eine weitere grosse Übersichtsausstellung über die zeitgenössische indische Kunst, sondern versucht, ausgehend von den 1980er Jahren, anhand des roten Fadens der Narration, einerseits Kontinuitäten und Brüche in der indischen Kunstproduktion aufzuweisen und andererseits singuläre Werke zu präsentieren, die Dank ihrer erzählerischen Komponente das Potenzial besitzen, unabhängig von unserer geografischen und kulturellen Provenienz, uns sehr direkt zu berühren, uns lustvoll-unterhaltend "anzusprechen", kritische Gesellschaftsfragen aufzuwerfen oder uns durch "Leerstellen" in der Erzählung zum aktiven Mitmachen anzuregen.