Witziger, hintergründiger Zeichner
Alle haben einen blauen Finger. Zeichnungen und Animationen
Peter Radelfinger (*1953 Bern) gehört zu den wichtigen Schweizer Künstlern der Gegenwart. Er schafft mit einfachsten Mitteln anspielungsreiche Zeichnungen, welche brisante Themen auf witzige und hintergründige Art miteinander verweben. Die Ausstellung im Kunstmuseum Bern präsentiert drei aktuelle Werkgruppen, die seit dem Jahr 2000 entstehen und ständig erweitert werden.
Peter Radelfinger konzentriert sich seit den 80er-Jahren fast
ausschliesslich auf das Medium der Zeichnung. Im Zentrum der drei
thematischen Serien, welche in der Ausstellung gezeigt werden, stehen
allgemeine Fragen zum Individuum und zu gesellschaftlichen und
politischen Themen. In Radelfingers Schaffen sind auch Fragestellungen
zu unserer Wahrnehmung und zum Wesen der Zeichnung präsent. So werden
einzelne Zeichnungen oder Serien als digitale Projektion, als
Neonzeichnung oder als Plotterinstallation auch in anderen Medien
präsentiert.
Der moderne «Zwitscherraum»
In der Serie Endlich komm ich in den Zwitscherraum (seit 2000,
ca. 300 Pinselzeichnungen auf Plotterpapier) ist der Bezug zur
Kommunikationsgesellschaft offensichtlich. Vögel, Käfige und
Aufnahmegeräte sind in unterschiedlichen Variationen und Metamorphosen
zu sehen. Die Vogelhäuschen mutieren zu Überwachungskameras, die Vögel
verschmelzen mit den abstrahierten Ästen, auf denen sie sitzen, haben
bildschirmförmige Köpfe oder betrachten Computer und Handys als ihr
Zuhause, ihren Käfig. Der Vogel - Symbol der körperlosen Seele und des
freien Denkens - ist in Radelfingers «Zwitscherraum» den Veränderungen
seiner Umgebung hilflos ausgeliefert. Radelfinger untersucht in der
Serie auch so ambivalente Themen wie Geborgensein und Gefangenschaft
oder Freiheit und Überwachung.
Von der Zeichnung zur Animation
Die digitale Arbeit Jokeanima (seit 2005) wird in 3 Projektionen
gezeigt. Es handelt sich dabei um eine Auswahl minimal animierter
Kugelschreiberzeichnungen aus der Serie Joke (seit 2003). Neben
politischen Fragen der Kommunikation und Überwachung geht es auch um die Kommunikation «im Kleinen», um zwischenmenschliche Beziehungen, die
Begegnung zwischen Mann und Frau, um Trennung und Isolation.
Porträts eines Abwesenden
Für die Serie Kissen und Falten (seit 2000, ca. 1000 Blätter) schickt
der Künstler während der Ausstellungsdauer täglich von seinem Computer
aus neue Kissenzeichnungen an den Plotter, welcher diese ausdruckt.
Diese Zeichnungen sind auf einem digitalen Zeichentablett entstanden.
Damit stellen sich Fragen nach den Möglichkeiten der Zeichnung und nach
dem Verhältnis von Original und Kopie, da das digital gezeichnete
«Original» z.B. beliebig oft ausgedruckt werden kann. Das Thema der
Falte wird durch die bedruckten Papierbahnen, welche sich vor dem
Plotter auftürmen, räumlich erlebbar. Die Serie Kissen und Falten hat
sich aus Radelfingers Beschäftigung mit dem Selbstbildnis entwickelt.
Während Radelfinger sich lange mit dem eigenen Gesicht befasste,
arbeitet er hier mit dessen Absenz: er zeichnet am Morgen gleich nach
dem Aufstehen das Kissen, auf dem sein Kopf während der Nacht einen
Abdruck hinterlassen hat. So sind diese Kissenzeichnungen gewissermassen Porträts eines Abwesenden.
Ohne anklagend oder moralisch zu wirken, reflektiert Radelfinger die Aktualität des Mediums Zeichnung und bringt mit seiner einfachen Zeichensprache Fragen der heutigen Zeit auf humorvolle und hintersinnige Art auf den Punkt.